Inhalt
  1. Selbstdisziplin: Definition
  2. Selbstdisziplin ist Selbstzwang
  3. Selbstdisziplin ist der „Zwanglosen Zwang des besseren Verhaltens“
  4. Sport: mein Lernfeld von Selbstdisziplin
  5. Selbstdisziplin – Anstrengung durchhalten mit Gewohnheiten
  6. Gewohnheiten als Königsweg zur Selbstdisziplin
      • Die Intelligenz der kleinen Gewohnheitsveränderungen
      • Was für die erfolgreiche Strategie für Gewohnheitsveränderungen gilt
  1. Selbstdisziplin als Selbstkontrolle

 

 1. Selbstdisziplin: Definition

„Selbstdisziplin oder Selbstbeherrschung bezeichnet ein stetiges und eigenkontrolliertes Verhalten, das einen Zustand aufrechterhält oder herbeiführt, indem es Anstrengungen aufwendet, die den Ablenkungen von einer Zielvorgabe entgegenwirken.

Mehrere Langzeitstudien der letzten Jahrzehnte ergaben, dass das in Tests und Untersuchungen ermittelte Maß der Fähigkeit zur Selbstdisziplin in der Kindheit ein sicheres Indiz war für vielfältigen Erfolg im späteren Erwachsenenleben. Die bislang eindrucksvollste Studie in dieser Hinsicht ist die Dunedin-Studie aus Neuseeland von 2011.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstdisziplin

 

2. Selbstdisziplin ist Selbstzwang

Selbstdisziplin das ist  Anstrengung, Verzicht, Zwang, Kontrolle, Härte, Kälte und emotionale Unterdrückung, rigoroser Umgang mit sich selbst, Bereitschaft zur rücksichtlosen Zielerreichung auch auf Kosten von anderen, also alles in allem eine Fähigkeit, die egozentrisch ausgerichtet scheint, die also keiner haben will und jeder braucht!

Selbstdisziplin kommt von Disziplin und damit ist erst einmal die Disziplin der anderen gemeint, die man disziplinieren muss, damit sie sich an die Regeln halten und sich anpassen. In der autoritären Erziehung wurde die Einhaltung von Regeln und Verhaltensweisen mit Strafen und Zwangsmaßnahmen, also mit Gewalt durchgesetzt. Wir sind weniger weit davon entfernt als wir glauben: Regelverstöße im Straßenverkehr werden mit Bußgeldern geahndet, Mitarbeiter, die mehrfach zu spät kommen, bekommen Entgeltabzüge, Menschen, die nicht mehr rauchen wollen, erlegen sich Strafzahlungen auf, wenn sie wieder rückfällig werden!

Zwangsmaßnahmen erscheinen also auch heute als probates Mittel um die Disziplin aufrechtzuerhalten, auch in der Erziehung. Wir alle kennen die Situation, dass wir Kindern Grenzen setzen müssen, damit sie lernen, die Interessen anderer zu respektieren und sich selbst zu kontrollieren. Nur so können sie soziale Wesen werden. Selbstdisziplin ist also eine soziale Notwendigkeit!

Entscheidend ist dabei natürlich die Frage, wieviel negative Erfahrungen von Zwang und Gewalt sind damit durch Erziehung und Schule verbunden?

Und wie können wir Selbstdisziplin mit positiven Lernerfahrungen verbinden?

 

3. Selbstdisziplin ist der „Zwanglosen Zwang des besseren Verhaltens“

Theoretisch hat Habermas in seiner Kommunikationstheorie den Zusammenhang von Zwang und Freiheit bei der Konsensfindung als den „Zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ beschrieben.

Genauso fasse ich Selbstdisziplin als den „Zwanglosen Zwang des besseren Verhaltens“ auf:

  • „besser“ im Sinne von sozial angemessener und verträglicher und
  • „besser“ im Sinne von erfolgreicher bei der eigenen Zielerreichung.

Dabei kommt man am Zwang nicht vorbei, es bleibt also bei der Selbstdisziplin ein Moment von „friedlicher Gewalt“ gegen sich selbst und andere! Dieses Moment von Gewalt, Zwang, Druck, Anstrengung, Überwindung, Kontrolle, Verzicht und Abgrenzung gehört dazu und lässt sich nicht wegdiskutieren: jeder Sportler, der intensiv trainiert hat, kann ein Lied davon singen.

 

 4. Sport: mein Lernfeld von Selbstdisziplin

Beim Judo hatte ich mehrere Trainer, zuerst Ferdi M. in Hamburg, Europameister und Nationaltrainer der Frauen. Mit 50 Anfängern war ich im ersten Kurs in einem großen Dojo (Judoraum). Ferdis Training war hart, Beweglichkeitsübungen, Ausdauer- und Kraftübungen, viele Wiederholungen bei den Grundtechniken, aber auch lockeres Üben mit dem Partner (Randori).

An Selbstdisziplin habe ich gar nicht gedacht. Ferdi war die Autorität, der wusste wie es geht und das hat man gesehen und deswegen ging es nur darum, die Übungen gut zu machen. Außerdem hat mich die Art der Bewegung fasziniert, diese Mischung aus Kraft und Eleganz, die Sanftheit und Intelligenz der Techniken, mit denen man so große Wirkungen erzielen konnte. Und dass man die Achtung vor dem Meister (ZEN Tradition) und den anderen Judoka mit einer gemeinsamen konzentrierten und ruhigen würdevollen Verbeugung ausdrücken konnte!

Nach ca. 3 Monaten waren von den 50 Anfängern noch 15 übrig. Warum? Zu wenig Selbstdisziplin, zu wenig Begeisterung, zu wenig Ausdauer, zu schlechte körperliche Voraussetzungen? Ferdi sagte, das sei immer so in den Anfängerkursen. Er sah es als einen guten Prozess an, diejenigen herauszufinden, die wirklich engagiert Judo machen wollten! Ich habe Judo dann noch 20 Jahre gemacht!

Ich hatte dann u.a. noch zwei Trainer, die beim Training rumgebrüllt haben, um uns ordentlich zu pushen. Der eine war ein Jodoka von der Bundeswehr, dessen Brüllattacken ich hasste, weil es für mich immer auch Schikane war; der andere war ein Japaner, der unvermittelt sehr laut wurde, was ich immer als Verstärkung der Konzentration erlebt habe. Der japanische Trainer, übrigens hieß er Sadonubo K. – ich hatte später ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm – machte beim lauten Brüllen einen sehr gelassenen Eindruck; bei allem Ehrgeiz war er immer freundlich und zugewandt und auch wenn er erstaunliche Leistungen vollbrachte – z.B. als 60 Kg Mann einen 80 kg Jodoka mit einem eleganten Hüftwurf in hohem Bogen auf die Matte werfen – blieb er bescheiden und zeigte allenfalls seine Zufriedenheit, aber niemals Siegerpose! Im nach hinein wurde er für mich  genau das, was ich mir unter Selbstdisziplin vorstellte!

Selbstdisziplin ist also in meiner Definition der „Zwanglose Zwang des besseren Verhaltens“, ist sozial verträglich und erfolgreich für die Zielerreichung. Und nochmal: es führt kein Weg daran vorbei: wir müssen uns selber zwingen, also gegen uns Zwang ausüben und tun das auch mehr oder weniger indirekt auch gegen andere! Das widerspricht unserem Freiheits- und Unabhängigkeitsideal und damit müssen wir leben; trösten können wir uns allenfalls mit Hegels Aussage „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit!“  Damit die eigene Not und die von anderen „gewendet“ werden kann, bedarf es des Verstehens der Zwänge, der Einsicht in Zwangszusammenhänge, einerseits für die Anpassung und anderseits für die Veränderung.

Wenn wir also zur Verbesserung der Selbstdisziplin Zwang gegen uns ausüben, tun wir das aus Einsicht in die Notwendigkeit, um unser Verhalten zu ändern und mit der Einsicht haben wir eigene Vernunftgründe, Zwang auszuüben: wir tun das in freier eigener Entscheidung!

Ob uns dieser Trost der Einsicht in Notwendigkeit wirklich tröstet, sei dahingestellt, aber der eigene Erfolg, die eigene Zielerreichung tröstet uns garantiert, das ist es, was uns letztlich zufrieden macht! Deswegen trägt Selbstdisziplin sehr viel zur eigenen Zufriedenheit bei, also zu der unauffälligen, oft kaum bemerkten Form von Glück!

 

5. Selbstdisziplin – Anstrengung durchhalten mit Gewohnheiten

Der Königsweg zur Selbstdisziplin ist es Gewohnheiten auszubilden, Automatismen zu lernen, die Energie sparen und erfolgreiches Verhalten erleichtern.

Die notwendige Bedingung für Selbstdisziplin ist, dass ich weiß, warum und wofür ich freiwillig prinzipiell anstrengende und wenig lustbetonte Aktivitäten mache!

Und die hinreichende Bedingung für Selbstdisziplin ist das Durchhalten meiner Aktivitäten bis zur Zielerreichung!

 

 

6. Gewohnheiten als Königsweg zur Selbstdisziplin

Erinnern Sie sich an die Bilder von Body Buildern, deren Muskeln Fleisch gewordener absoluter Willen ist? Oder an die Wettkampfszenen, in denen in absoluter Anstrengung das verzerrte Gesicht zu sehen ist, sich alles dem absoluten Willen zum Sieg unterzuordnen scheint? Gerade der Leistungssport gilt als Bereich, in dem Willensstärke absolut von Nöten ist. Aber wenn es stimmt, dass die Kraft des Willens analog zur Kraft eines Muskels sich entwickelt, muss der Wille in ähnlicher Weise durch Kraft- und Ausdauerübungen entwickelt werden.

Allerdings zeigt sich der Wille nur im TUN, also können wir nur zurückschließen, aus dem was wir getan haben, dass dazu wohl ein unbedingtes Wollen seinen Beitrag geleistet hat.  Und das unbedingte Wollen will etwas, nämlich ein Ziel erreichen. Das geschieht ja meistens nicht in einem blinden Kraftakt, sondern in einer strategischen Überlegung, wie ich denn zu meinem Ziel komme. Und daraus ergeben sich dann bestimmte Aktivitäten, also konkrete praktische zeitlich organisíerte Handlungen.

 

Die Intelligenz der kleinen Gewohnheitsveränderungen

Die Intelligenz der Veränderungsstrategien hängt von folgenden Faktoren ab:

  1. Differenzierungsfähigkeit – notwendige Unterscheidungen für die Einschätzung einer Situation treffen, also z.B. eine hinreichend genaue Analyse meiner aktuellen Situation machen
  2. Klarheit gewinnen – wichtiges und unwichtiges unterscheiden bis zum „Was ist wirklich wichtig Bewusstsein“
  3. Fokussieren – Konzentration auf den Hauptaspekt, das Ziel
  4. Flexibilität – Hindernisse und Schwierigkeiten einbeziehen, die Richtung ändern, das Ziel in den Hintergrund stellen, um es über Umwege zu erreichen

Gewohnheitsveränderungen betreffen Alltagsgewohnheiten, wie Essverhalten, Bewegungsverhalten, Genussgewohnheiten, Arbeitsorganisationsweisen, soziale Gewohnheiten, z.B. in der Kommunikation oder in der psychischen Reaktion auf das Verhalten anderer.

 

Für die erfolgreiche Strategie für Gewohnheitsveränderungen gilt:

  1. Genaue Festlegung der Ziele – Prinzip der Überschaubarkeit und der Leichtigkeit, z.B. Tagesziele für Bewegung, jeden Tag 15 Min. eingebaut in einen Ablauf, der ohnehin schon da ist; das kann Spaß machen und dazu führen, dass man mehr macht als man sich eigentlich vornimmt;
  2. Kleine einfache Aktivitäten, die mich aller Voraussicht nach nicht überfordern in meiner Willenskraft; das garantiert Erfolgserlebnisse!
  3. Das Maß an Anstrengung ausprobieren und Stolz auf eigene Leistung pflegen;
  4. Bei Überforderung – Wahrnehmung von subjektiver Müdigkeit und negativen Gefühlen – weniger machen;
  5. Realistische Zeitplanung – die Entwicklung einer neuen stabilen Gewohnheit dauert je nach Komplexität ca 2 Monate;

 

7. Selbstdisziplin als Selbstkontrolle

Um Ihre Selbstdisziplin zu entwickeln, brauchen Sie Techniken und Handwerkszeug. Selbstdisziplin lernen ist wie ein Handwerk lernen; dabei zähle ich zum Handwerk Fähigkeiten und Kenntnisse in einem Beruf ebenso wie in einer Sportart oder einem speziellen Interessengebiet. Egal was man macht: man braucht immer Übung und Ausdauer. Selbstdisziplin lernt man also nur durch diszipliniertes Handeln. Wir tun einfach das, was wir wollen, auch wenn das Können noch nicht dem Wollen entspricht.

Übung macht den Meister; eine Übung ist eine vollkommene Handlung in Bezug auf die Selbstdisziplin. 100 Übungen sind eine vollkommene Handlung in Bezug auf das Ziel, 100 Übungen zu machen. Wenn ich regelmäßig hundert Übungen mache, ist es eine Gewohnheit, so wie wenn ich jeden Tag 30 Min. laufe oder einen Apfel esse. Disziplin bedeutet also üben und Gewohnheiten ausbilden, die mich meinen Zielen näher bringen.

Die Konzentration auf die Übungen geht nur mit Selbstkontrolle, etwas nicht zu tun, das zu den Übungen nicht passt und regelmäßig das zu tun, was ich eigentlich will, obwohl es sich für meinen jetzigen Zustand sehr anstrengend anfühlt. Selbstkontrolle bedeutet also auch Willenskraft, die Energie kostet. Und diese Energie ist begrenzt: Willensressourcen erschöpfen sich, sagt Kathleen Vohs, Professorin für Marketing an der University of Minnesota (Interview in PH 02/15, S. 58 – 62) und empfiehlt deswegen u.a.:

  • Sich entziehen; sozusagen die Orte der Versuchungen und Ablenkungen zu meiden (nicht in die Bar gehen, wenn nicht mehr trinken will; nicht in die shopping area zu gehen, wenn man weniger kaufen möchte); der klassische Weg des sich Entziehens wird mit dem ZEN Kloster gewählt, um in einer Kunst auf dem Weg mit sich selbst vollkommen zu werden.
  • Einen Teil der Entscheidungen im voraus planen, um anstrengende Zielkonflikte zu vermeiden; z.B. feste Termine zu haben (regelmäßiger Fitnesstermin), soziale Verbindlichkeiten einzugehen und sich zu verpflichten;
  • Konzentration der Energie auf das, was unbedingten Vorrang hat;
  • Routinen festlegen; z.B. bei Arbeitsbeginn zuerst Tagesplanung, dann Emails checken;
  • Entscheidungen an andere übergeben;
  • Entscheidungen strukturieren; nicht in jedem Einzelfall neu entscheiden, sondern für viele Einzelfälle Richtlinien festlegen;

Die These von Kathleen Vohs ist: „Der Einsatz von Selbstkontrolle schwächt die Fähigkeit zur Kontrolle in nachfolgenden Situationen, auch wenn sie sich deutlich von der Ausgangssituation unterscheiden.“ (S. 67, PH 02/15) Selbstkontrolle kann also ein Energiefresser sein und ist nicht der Königsweg zur Disziplin! Der liegt  in der Ausbildung von Gewohnheiten, die dann von einem Bedürfnis oder Wunsch getragen sind, so dass sie wenig Selbstkontrollenergie kosten.

Ein sehr einfaches Vorgehen zur Stärkung der Selbstkontrolle empfiehlt Rouwen Hirth (er ist Diplom-Psychologe und wissenschaftlicher Direktor des NeuroNation-Gehirntrainings):

  1. Versuchungen minimieren; Situationen vermeiden, in denen man mit Reizen und Impulsen konfrontiert wird, die nicht den eigenen Zielen entsprechen;
  2. klare Zielvorgaben mit der Wenn-Dann-Methode formulieren; die wenn-dann Methode heißt nichts anderes als eine Art Selbstprogrammierung, eine Selbstkonditionierung mit suggestiven Sätzen wie „Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, dann denke ich daran, wie fit ich mich fühlen werde, wenn ich jetzt laufen gehe.“
  3. regelmäßiges Üben der „Reizunterdrückung“ oder „Impulsunterdrückung“; einem plötzlichen Hungergefühl oder dem Bedürfnis nach Süßigkeiten nicht unmittelbar nachgeben, seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken;  das ist zweifellos in Phasen der Schwäche sehr schwierig. Ein anderes Beispiel: in meinen Rhetorik Trainings haben wir die Impulse für die vielen „ähs“ und „ems“ durch Pausen machen, Ausatmen und Schließen der Lippen bearbeitet; das kann man auf Gedanken übertragen:
  • Impuls kommt „Ich muss jetzt Schokolade haben!“
  • Gedankenpause machen und ausatmen
  • „Welche Form des Genusses steht mir noch zur Verfügung, die meinem Körper/meinem Selbstbild/meinen Zielen mehr entspricht?“